Jung und Alt in Unternehmen

Autorin: Cornelia Seitz

Trotz der Kassandrarufe seitens der Forschung und von Arbeitsmarktpolitikern sehen Unternehmen nur bedingt die Notwendigkeit, von der Jugendzentriertheit ihrer Personalpolitik abzurücken. Optimierung und Personalabbau prägen den betrieblichen Alltag. Für die Alten ist da kaum noch Platz. Jüngere Mitarbeiter , ausgestattet mit aktuellem Fachwissen, werden gesucht und Führungspositionen verstärkt mit Jüngeren besetzt. Vier Jahre lang hat sich das Bildungswerk der Hessischen Wirtschaft e.V. mit dem Thema Jung und Alt in Unternehmen befasst. Die Ergebnisse des Modellversuches „Die Gestaltung altersheterogener Lern- und Arbeitsstrukturen“, werden hier vorgestellt.

Der Aufbau von kultur- und strukturverändernden Maßnahmen, die einen wechselseitigen Wissens- und Erfahrungstransfers zwischen Jung und Alt fördern, ist eine Möglichkeit, wie Unternehmen mit den demographischen Veränderungen umgehen und die unterschiedlichen Leistungspotentiale der Generationen nutzen können. Diese Möglichkeiten auszuloten und daraus Empfehlungen abzuleiten, war das Unterfangen des Projekts.
Vor vier Jahren, mit Beginn des Modellversuches machen wir uns auf die Suche nach Unternehmen, die bereit sind, sich mit der Frage des Älterwerdens auseinander zu setzen. Kein leichtes Unterfangen, Unternehmen zu finden, in denen noch viele Ältere beschäftigt sind und die an einer Mitarbeit interessiert sind. Das Vorhaben, den Wissens- und Erfahrungsaustausch zwischen Jung und Alt aufzugreifen, stößt zwar auf Anerkennung und Neugierde, aber das Thema ist für viele Unternehmen nicht dringlich genug, um sich am Modellversuch zu beteiligen. Hilfreich für die Beteiligung der Unternehmen ist das Vorgehen, in bereits bestehende Veränderungsprozesse intergenerative Lernfelder einzubinden und den Wissens- und Erfahrungstransfer zwischen den Generationen als Instrument zur Gestaltung der Veränderungsprozesse anzuwenden. Insgesamt beteiligen sich fünf Unternehmen mit folgenden betrieblichen Themenfeldern:

Leadership-Modelle...

sind Denk- und Handlungsweisen, die den Generationen gerecht werden, um wirkungsvolle Führungs- und Entscheidungsstrukturen aufzubauen. Die Führungsmannschaft dieses Unternehmens trifft sich alle vier Wochen zum Führungsdialog. In den Treffen werden die gegenseitigen Zuschreibungen und Stereotypen bzw. die mentalen Modelle hinsichtlich verschiedener Führungsstile transparent und die Meinungen und Erfahrungen explizit von jüngeren und älteren Führungskräften eingebracht. Die unterschiedlichen Wertvorstellungen und Konkurrenzen, die Veränderungen in den traditionellen Führungsrollen und die daraus resultierenden Verunsicherungen im Umgang miteinander werden „besprechbar“. Im intergenerativen Dialog besteht die Möglichkeit, die Unterschiede der Generationen und die unterschwelligen Konflikte zu benennen und zu prüfen, wie unterschiedliche Führungsstile für das Unternehmen genutzt werden können und wo eine einheitliche Führungsweise erforderlich ist. Es werden gemeinsam Führungsinstrumente erarbeitet, umgesetzt und reflektiert.

Ganzheitliche Personalpolitik...

bedeutet die Konzipierung und Umsetzung einer ganzheitlichen Personalentwicklung mit dem Ziel, frühzeitig über alle Lebensphasen hinweg Qualifizierungsbedarfe zu erkennen und Mitarbeiter für neue Herausforderungen vorzubereiten und einzuarbeiten. Elemente einer intergenerativen Personalentwicklung sind u. a. die frühzeitige Qualifizierung und Vorbereitung auf neue Aufgaben und die Umsetzung von Führungswechsel als Prozess mit der Fragestellung: Was soll so bleiben und was bedarf einer Veränderung? Stelleninhaber und Nachfolger gestalten diesen Reflexions-, Entscheidungs- und Übergabeprozess gemeinsam.

Mitarbeiternachfolge als Prozess...

Beinhaltet die Konzipierung und Umsetzung der Mitarbeiternachfolge als Prozess, in dem in der Phase des gleitenden Übergangs in den Ruhestand nicht nur der Nachfolger eingearbeitet wird, sondern der ausscheidende Mitarbeiter versucht, relevantes Erfahrungswissen an mehrere Personen in seinem Umfeld weiterzugeben. Der Modellversuchsbetrieb ist ein kleines Produktionsunternehmen, in dem ein bestimmter Arbeitsvorgang maßgeblich von den Erfahrungen des Facharbeiters abhängig ist und dieses Erfahrungswissen nach Einschätzung aller Beteiligten nicht dokumentiert werden kann. Mit Hilfe der „Learning History“ werden mit dem ausscheidenden Mitarbeiter Geschichten aus seinem Arbeitsumfeld vorbereitet, von denen er subjektiv glaubt, dass diese Geschichten einen erfolgreichen bzw. weniger erfolgreichen Arbeitsprozess oder -ereignis beschreiben, die anschließend mit den im Umfeld arbeitenden Kollegen und dem Nachfolger reflektiert werden.

Wissensaustauschkultur...

Ist ein Kultur, die sich hierarchie- und funktionsübergreifend entwickeln sollte. Sie bezeichnet den Austausch von Daten, Informationen und Lösungsstrategien, die elektronisch aufbereitet werden und betriebliche Strategien und Innovationsprozesse, die hierarchie- und funktionsübergreifend erarbeitet und reflektiert werden. In dem Modellbetrieb wird gemeinsam mit Organisationsmitgliedern eine Befragung zu dem Thema durchgeführt. In der Auswertung wird deutlich, dass die mangelnde dialogorientierte Interaktionskompetenz der Führungsebene das entscheidende Hindernis bei der Realisierung einer hierarchie- und funktionsübergreifenden Wissensaustauschkultur ist. Mit der Steuergruppe und weiteren Projektbeteiligten wird ein Workshopkonzept zum Einüben vernetzter Analyse- und Denkprozesse erarbeitet und umgesetzt. Während der Umsetzung kämpft das Unternehmen mit Auftragsrückgängen und erhält die Anweisung, sich ausschließlich auf das Kerngeschäft zu konzentrieren. Der Vorstandsvorsitzende als Schirmherr des Projektes verlässt das Unternehmen und der Personalchef, der die Federführung für die Umsetzungsphase innehatte, muss sich auf Abbauprozesse konzentrieren.

Teamentwicklung...

ist eine intergenerative Teamentwicklung, insbesondere zur Integration neuer, in der Regel jüngere, Mitarbeiter und Führungskräfte und Neuausrichtung bereits bestehender Unternehmensbereiche. In diesem Modellbetrieb wird ein Bereich von 20 auf ca. 70 Personen ausgebaut. Ein junger Vorstand wird von außen eingekauft, ebenso eine Vielzahl junger high potentiales. Jung und Alt trifft hier in doppeltem Sinne zu, jung bzw. alt hinsichtlich des Lebensalters bzw. hinsichtlich der Firmenzugehörigkeit. Eine intergenerativ besetzte Steuerungsgruppe wird ins Leben gerufen und gemeinsam wird eine Architektur für diesen Prozess entwickelt. Eine Vielzahl dialogorientierter Workshops zur Bearbeitung von Businessthemen und zwei Großgruppeninterventionen mit jeweils 50 bis 70 Personen über zwei bzw. drei Tage werden durchgeführt. Dabei werden dialogische Kompetenzen vermittelt, es wird in gemischten, intergenerativen Zusammensetzungen gearbeitet und Selbstorganisation eingeübt.

Kollegiales Coaching...

ist der Aufbau intergenerativer und crossfunktionaler Interaktionsstrukturen zur wirkungsvollen Planung und Reflexion von Handlungsstrategien. Im Mittelpunkt dieses betrieblichen Projektes stehen kollegiale Coachingprozesse. Bereits stattgefundene Aktionen oder künftige Vorgehensweisen werden wechselseitig dargelegt, aus verschiedenen Perspektiven eingeschätzt und auf der Basis unterschiedlichen Wissens und unterschiedlicher Erfahrungen Empfehlungen gegeben. In mehrtägigen Workshops lernen die Mitwirkenden die hierzu erforderlichen dialogischen Kompetenzen und Reflexionswerkzeuge kennen. In den Workshops wird an konkreten Praxisereignissen gearbeitet und eine selbstgesteuerte Weiterführung des kollegialen Coachings [1] vorbereitet.

Empfehlungen aus den Modellversuchsprojekten

Obwohl sich die Unternehmen auf eine Mitwirkung im Modellversuch einlassen, wird deutlich, dass der Entwicklung von Lösungen zur Bewältigung des demographischen Wandels nur eine geringe Priorität eingeräumt wird. Die demographischen Veränderungen werden sich in den Unternehmen unterschiedlich auswirken, so dass die Dringlichkeit nicht unmittelbar eingeschätzt werden kann. Treten Krisensituationen auf, rückt die Fragestellung in den Hintergrund.

Die Generationenfrage muss mit dem Konzept der Lernenden Organisation, mit Wissensmanagementprozessen oder mit der Entwicklung eines ganzheitlichen Personalentwicklungskonzeptes verknüpft werden, so dass beide Gruppen, Alt und Jung, spezifisch bedient, wechselseitige und vielfältige Lernbeziehungen ermöglicht und motivationserhaltende Arbeitsprozesse über die verschiedenen Lebensphasen hinweg aufgebaut werden können. Bereits bekannte Maßnahmen wie Coaching, Mentoring, Tandems, Übernahme von Patenschaften, kollegiale Beratungen, intergenerative Teams oder Gesprächskreise mit Auszubildenden, bei denen jedoch die klassische Rolle „Jung lernt von Alt“ aufgebrochen werden sollte, eignen sich zur Gestaltung altersheterogener Lern- und Arbeitsstrukturen. Weitere hilfreiche Schritte sind beispielsweise die regelmäßige Überprüfung der Weiterbildungsbeteiligung von Älteren, in Fachkursen gegenseitige Patenschaften anbieten, bei der Besetzung von Projekten stärker auf eine ausgewogene Altersstruktur zu achten oder ältere Mitarbeiter beim Bau und bei der Planung neuer Anlagen kontinuierlich einbinden. Unterstützend sind regelmäßige Planungsgespräche über Weiterbildungs- und Weiterentwicklungsmöglichkeiten mit den Mitarbeitern und Lebensarbeitszeitmodelle.

Der Erfolg solcher Organisations- und Personalentwicklungsmaßnahmen ergibt sich jedoch nicht von selbst. Die Umsetzung muss seitens der Geschäftsleitung und der Führungskräfte aktiv unterstützt und begleitet werden. Ein dialogorientiertes Kommunikations- und Entscheidungsverhalten der Führungskräfte, die Fähigkeit zu delegieren und ausreichend zu informieren, sind grundlegende Prämissen für eine Unternehmenskultur, die Lernprozesse ermöglicht und die Mitarbeiter bei ihrer beruflichen und persönlichen Entwicklung über alle Lebensphasen hinweg unterstützt.

Autorin: Cornelia Seitz ist Unternehmensberaterin und im Rahmen ihrer Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Forschungsstelle des Bildungswerkes der Hessischen Wirtschaft e.V. zuständig für den Bereich „Älter werden in Unternehmen“.

[1] Die konkrete Umsetzung dieses Konzeptes erfolgt im Rahmen des Modellversuches: „Dialog in der Lernenden Organisation

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